Samstag in der Stadt
Nadia Prauhart und Tamara Schwarzmayr haben 1999 nach einem Aufenthalt im Brasilien den Verein „Kunst- und Kulturprojekt Samstag“ gegründet. Seitdem bespielen sie gemeinsam den öffentlichen Raum, bevorzugt Märkte. Von 1999-2001 waren sie mit ihrer Initiative am Flohmarkt Kettenbrückengasse aktiv und seit 2010 sind sie für die Konzeption, das Kuratieren und die Durchführung der soziokulturellen Initiative SAMSTAG IN DER STADT am Schwendermarkt verantwortlich. In der Ausstellung 2051: Smart Life in the City behandeln sie den Freiraum. Um mehr darüber erfahren, hat sich Anna mit den beiden via E-Mail unterhalten.
Anna: Erzählt mir mehr von Samstag in der Stadt.
Nadia & Tamara: Samstag in der Stadt ist ein Nachbarschaftsprojekt am Schwendermarkt im 15. Bezirk in Wien. Eine große leere und relativ undefinierte Freifläche hat uns damals – es war 2010 – interessiert. Dort, wo früher Markt war, ist nun großteils nichts und das macht Raum ja erst spannend: Immer wieder aufs Neue kann er definiert, gestaltet und genutzt werden. Mit der Aufforderung “Besetzen Sie uns!” haben wir dann die Nachbarschaft eingeladen, sich am Prozess der Ausverhandlung zu beteiligen. Mittlerweile gibt es einen Garten in Baumscheiben und Hochbeeten, wöchentliche kostenlose Sozialberatung im öffentlichen Raum, Feste, Konzerte, Workshops. Und das gemeinsame Kochen, das wir durch unsere Teilnahme bei der Vienna Biennale nun auch in unserer mobilen Marktküche machen können.
Anna: Was ist eure Definition von Freiraum?
Nadia & Tamara: Neben dem bereits Genannten ist Freiraum für uns ein Ort ohne Konsumzwang.
Anna: Welche Strategien gibt es, um zu mehr Freiraum zu kommen?
Nadia & Tamara: Wir befinden uns, was Wien betrifft, an einem kritischen Zeitpunkt: Mehr oder weniger schleichend wird der Freiraum weniger. Das wahrscheinlich Wichtigste ist nun, das Bewusstsein zu schaffen und zu erhalten, dass es Freiraum braucht, damit ein Zusammenleben in Städten weiterhin (gut) möglich ist. Freiraum brauchen wir alle, auch dessen sollten wir uns bewusst sein. Kinder und Jugendliche versuchen, sich so gut wie möglich das zu nehmen, was sie brauchen und sind dabei recht kreativ. Ihre Strategien sollten uns inspirieren. Warum nicht mal Straßenkreiden nehmen und damit den eigenen Freiraum definieren? Zusätzlich sehen wir es auch als eine unserer Aufgaben, mit (politischen) EntscheidungsträgerInnen die Frage des Freiraums zu diskutieren, immer wieder, auch entgegen Widerstände und Zurückweisungen.
Anna: Was kann ich von eurer Initiative lernen?
Nadia & Tamara: Wenn man Menschen darauf aufmerksam machen will, dass der öffentliche Freiraum für alle da ist, muss man zu allererst zuhören können und versuchen, Ideen und Bedürfnisse und Wünsche an den Freiraum zu verstehen (oder nachzuvollziehen). Damit Bewusstsein für das Recht auf Stadt und das Recht auf den Freiraum entstehen kann, darf nicht ausschließlich die eigene Idee umgesetzt werden, sondern die Arbeit besteht darin, die Ideen zu fusionieren/katalysieren und etwas Gemeinsames zu schaffen.
Anna: Was habt ihr von eurer Initiative gelernt?
Geduld. Übersetzungsarbeit leisten – nicht zwischen verschiedenen Sprachen, sondern zwischen verschiedenen Menschen, Ämtern, Bedürfnissen… Alles andere haben wir durch die am Projekt beteiligten Menschen gelernt, wie etwa Gartenwissen.

Einige der NachbarschaftsgärtnerInnen vom Schwendermarkt mit Gärtnerin Maria (ganz links), 2014 (cc) Samstag in der Stadt
Anna: Wie stellt ihr euch die ideale Stadt vor?
Nadia & Tamara: Das Wort ideal ist schwierig. Wenn wir an unsere Leben denken – wie wenige Momente sind wirklich ideal? Es gibt immer was, das zwickt, so ist das auch in der Stadt, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Wenn nur alle ein wenig mehr Respekt vor den anderen und Toleranz gegenüber den Zwickereien hätten, dann wären wir einer “idealen Stadt” schon etwas näher. Uns gefällt hierbei die Metapher des “Organismus Stadt”: die Stadt als ein lebendiges und sich daher veränderndes, wandlungs- und vor allem lernfähiges Wesen. Wer es wirklich idyllisch will, die bzw. der muss Ballungsräume meiden und sich am Land mit dem Bienensterben, Monokulturen, mit meist noch engeren politischen Perspektiven, Speckgürteln und mangelhaften öffentlichen Verkehrsmitteln begnügen.
Anna: Was kann jede und jeder von uns tun, damit wir diesem Ideal näher kommen?
Nadia & Tamara: Widerständig bleiben und verständnisvoller werden.
Anna: Und zum Abschluss, was gehört noch gesagt?
Nadia & Tamara: Unsere nächste und letzte Marktküche findet diesen Samstag, den 1. August zwischen 17.00 und 21.00 Uhr beim Fußballplatz von Macondo im 11. Bezirk statt. Wir möchten alle herzlich dazu einladen!
(Anna, dieKulturvermittlung, 30.07.2015)
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Nadia Prauhart hat Romanistik und Arabistik mit kulturwissenschaftlichem Schwerpunkt (Stadtforschung) in Wien und Barcelona studiert. Seit 2003 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Ökologie-Institut in den Bereichen (Bildung für) Nachhaltige Entwicklung, Stadtentwicklung, Genderforschung und Gender- und Diversitätsmainstreaming und in der Leitung und Mitarbeit von internationalen Bildungsforschungs- und Vernetzungsprojekten tätig.
Tamara Schwarzmayr absolvierte ein Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und der Romanistik in Wien, Portugal, Brasilien und Chile. Derzeit studiert sie im Master Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Sie hat langjährige Erfahrung in der Initiierung von partizipativen Projekten und Prozessen (im öffentlichen Raum) und ist Absolventin der Schule für künstlerische Fotografie/Friedl Kubelka sowie ausgebildete ehrenamtliche Flüchtlingsbegleiterin im Integrationshaus Wien.
Die Ausstellung 2051: Smart Life in the City findet im Rahmen der Vienna Biennale des MAK statt und wurde vom MAK und der Wirtschaftsagentur Wien, Kreativzentrum departure organisiert. Sie läuft noch bis zum 4. Oktober 2015.
Neben dem Freiraum sind folgende visionäre Projekte in Wien zu finden:
und die Wohnung.
Kuratoren der Ausstellung 2051: Smart Life in the City:
- Harald Gründl (Co-Partner, EOOS; Institutsvorstand, IDRV – Institute of Design Research Vienna)
- Thomas Geisler (Kustode MAK – Sammlung Design)
KuratorInnen der Vienna Biennale:
- Pedro Gadanho (Kurator für zeitgenössische Architektur am Museum of Modern Art, New York)
- Harald Gründl (Co-Partner, EOOS; Institutsvorstand, IDRV – Institute of Design Research Vienna)
- Maria Lind (Direktorin, Tensta Konsthall, Stockholm)
- Peter Weibel (Vorstand, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe; Ordentlicher Professor, Universität für angewandte Kunst Wien)
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Anna und Adrien von dieKulturvermittlung machen beim #openschoool-Experiment mit. Deshalb wird dieser Artikel auf dieKulturvermittlung und im Blog der #openschoool veröffentlicht.
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