Das Potential des Gesangs
Der Gesang prinzipiell hat eine erstaunlich starke energetisch harmonisierende Wirkung und stimuliert regelrechte Glückshormon-Cocktails bereits bei alleine singenden Personen, was als gesundheitsfördernd und lebensverlängernd einzustufen ist, sowie Stress und Angst mindert. In der Gruppe singend verstärkt sich diese Wirkung und zusätzlich werden Bindungs- und Zuneigungshormone ausgeschüttet. Der Klang dient über die Sprache hinaus als subtiler Transmitter für seelische Befindlichkeit und die Spiegelneuronen arbeiten auf Hochtouren, wodurch gemeinsames Singen ein beglückend wohlwollendes einander Wahrnehmen und friedliches Miteinander fördert. Kein Wunder also, dass sich gleich nach Alkohol und noch vor Natur-Incentiv, Klang (leider bislang vermehrt nur mit Trommeln) zu den erfolgreichsten Teamentwicklung-Tools reiht und Singende Spitäler, Musiktherapie, Singgruppen, sowie Mantrensingen so florieren.
Gesangsimprovisation
Die Gesangsimprovisation stärkt über das gerade Beschriebene hinaus den Mut zur spontanen Expression. Im Spannungsfeld von Individualität und Anpassungsfähigkeit nährt sie die Kreativität, schult auf vielen Ebenen spielerisch Kommunikationskompetenzen, Ausdrucksfähigkeit und Wirkungsbewusstsein, und trainiert Präsenz und Wachsamkeit. Musikalische Qualifikationen, wie Tongedächtnis, intuitives Verständnis für Melodik, Harmonik, Rhythmik, sind neben der wachsenden Freiheit innerhalb gegebener Rahmenstrukturen (welche analog dazu im Alltag ihre Farblosigkeit und Enge verlieren) ein auf der Hand liegender Gewinn.
Jodeln
Das Jodeln befreit und belebt den ungehemmten Ausdruck authentischer Gefühle durch das Wegfallen jeglicher inhaltlicher Vorgaben der sonst im Gesang fast immer vorhandenen Texte. Was auch immer man zum Ausdruck bringen will oder loswerden muss, tritt es gejodelt auf reizvoll harmonische Weise zutage und fördert damit die Versöhnung mit dem eigenen Empfinden in seiner Ambivalenz, sowie die liebevolle Selbstwahrnehmung und -annahme. Zudem fordert es fantastisch gendergerecht sich jeweils im weniger gewohnten Stimmbereich aufzuhalten und einzufühlen und schult damit – rein musikalisch – selbst große Tonsprünge ohne Schleifer exakt zu intonieren, sowie den Registerwechsel, die Mischstimme und geschmackvolles Nuancieren zwischen „Schrei-“ und „Wohlgesang“. Jodeln ist im Grunde ein verbindender Kreisgesang auf Augenhöhe, der trotz starker Agogik (= dynamische Tempogestaltung) ohne Dirigent, unmittelbar durch die achtsame Demokratie der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, gleichermaßen von allen aktiv singenden Personen gestaltet wird.
Obertongesang
Der Obertongesang ermöglicht die fundamentale Entdeckung, dass ein einzelner Ton nicht mehr länger nur ein einzelner Ton ist. Tatsächlich bringen wir beim Vokalisieren ganze Akkorde von Teiltönen zum Klingen, was sich meist nur unserer Wahrnehmung entzieht. Entdecke mit wenig Budget ein riesiges „Planetensystem“ an Teiltönen in jedem einzelnen Deiner gesungenen Töne, das lang verborgen plötzlich aus Deinem Klangkosmos hervor glitzert. Diese spür- und hörbare Erfahrung am eigenen Leib löst einen interdisziplinären Diskurs durch die Wissenschaft, Philosophie und Kunst aus, der den Blick auf die Welt um Lichtjahre zu erweitern vermag. So wird man bald vielleicht in Schulbücher lesen können, dass wohl nichts genau so ist wie man es die längste Zeit „für wahr nahm“ und dass die trefflichste Beschreibung der Erde weder ein flacher noch runder Festkörper ist, sondern Klang.[1] Kontemplativ vollzieht sich zudem die Entdeckung der oft verhältnismäßig unbewussten Fähigkeiten der Zunge als Teil eines faszinierenden Multifunktionsventils der Kehle, die mit einzelnen Frequenzen ebenso spielen kann, wie die Hand mit einem Smartphone. Dadurch wachsen Artikulations- und Resonanzfähigkeit, sowie stimmliche, wie personelle Präsenz. Durch die erhöhte Aufmerksamkeit auf den spürbaren Anteil des Stimmklangs im gesamten Körper, verbessern sich Selbstwahrnehmung, Körperbewusstsein und die unzähligen damit einhergehenden Fähigkeiten. Als krönende Besonderheit fällt darunter das Multitasking in der Wahrnehmung, Betreuung und kontrollierten Gestaltung zwei gezielter und variabler Töne gleichzeitig.

Obertongesang: Die 16 ersten Teiltöne stilisiert dargestellt. Entstanden bei der Erstellung eines Teiltonlineals als Montessori-Material. (cc) Laurentius Rainer
Alle drei Gesangstile erschließen sich nicht über Noten, dafür fordern sie uns mitunter auf, unser Hören, Artikulieren und Partizipieren, sprich einige unserer Handlungsmuster, neu zu organisieren. Neues Potential spielerisch kennenzulernen und zu fördern, sowie das lebenslange Vergnügen am eigenen Scheitern, erhält und fördert die Beweglichkeit, das Lernvermögen und die Jugendlichkeit. Somit werden im Berufsalltag sehr gefragte Skills analog gelernt und tragen stark zu Persönlichkeitsfestigung, gestärktem Auftreten und bewusster Selbstdarstellung bei.
Das gemeinsame Musizieren immanent, lehrt die Paradoxien Demut & Verantwortung, Spannung & Loslassen und die Einsicht gleichzeitig verschwindend unwichtig und doch der zentralste Schöpfer der eigenen Welt zu sein. So können sich Individuen für ein harmonisches Miteinander stärken, trotz großer Individualität, Emanzipierung oder Autarkie. (Laurentius Rainer, dieKulturvermittlung, 04.08.2015)
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Laurentius Rainer ist diplomierter Jazz-Sänger, Montessori-Pädagoge und ehemaliger Wiener Sängerknabe. Folgende Kurse werden momentan von ihm angeboten:
Jodeln-, Impro.- & Obertongesang (Semesterkurse)
Rax-Jodelwanderung (21.8.-23.8.)
Openschoool-Workshops (gratis)
Sehr gerne informiert er dich per Mail über all seine Veranstaltungen. Außerdem verwöhnt er mit Oberton-Klangmassage, gibt Gesangs- und Instrumentalunterricht (Gitarre, Didgeridoo, Perkussion) für Einzelne und Gruppen und kommt auch gern in Schulen.
[1] vgl. diverse Forschungen seit dem 15. Jh., die Joachim Ernst Berendt mit „Die Welt ist Klang“ zusammenfasst.
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