Shopping Spotting

Die Designerin Julia Landsiedl behandelt in der Ausstellung 2051: Smart Life in the City das Einkaufszentrum der Zukunft. Dafür hat sie im Einkaufszentrum Wien Mitte – The Mall die Installation Shopping Spotting angebracht. Um mehr über ihr Projekt zu erfahren, hat sich Anna mit Julia auf einen Kaffee getroffen.

Julia Landsiedl

In der Nähe von Julias Designbüro jeplus traf sich Anna mit der Designerin auf einen Kaffee. (cc) dieKulturvermittlung

Anna: Was hat dich dazu gebracht, dich mit dem Einkaufszentrum zu beschäftigen?

Julia: Thomas Geisler und Harald Gründl, die Kuratoren der Ausstellung, sind auf mich zugekommen. Sie haben u.a. jemanden gesucht, der gerne etwas für ein breites Publikum entwickelt und auf Projektebene zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen vermitteln kann. Immerhin besuchen das Einkaufszentrum Wien Mitte – The Mall zu Spitzenzeiten täglich bis zu 50.000 BesucherInnen unterschiedlichster Herkunft.

Anna: Wer ist alles am Projekt beteiligt?

Julia: Neben mir sind noch Elisabeth Fixl sowie Sonja Weinstabel von der Firma EKAZENT, sowie Pia Plankensteiner für mein Büro am Projekt beteiligt. EKAZENT betreibt Wien Mitte – The Mall und die zwei Damen beschäftigen sich hausintern u.a. mit Kunstprojekten.

Anna: Was ist deine Einstellung zum Shopping?

Julia: (lacht) Ehrlich gesagt bin ich keine totale Konsumverweigerin, trotzdem lebe ich eher reduziert. Mit Ausnahme von Kleidung mag ich grundsätzlich neue Dinge nicht. Ich habe ein bisschen eine Objektphobie. In Bezug auf Kleidung ist mir Qualität wichtig. Ich kaufe wenige Stücke, die dann aber auch teurer sein dürfen. Ich würde mich als bewusste Konsumentin bezeichnen.

Anna: Warst du vor dem Projekt schon einmal in Wien Mitte – The Mall einkaufen?

Julia: Nein, jedenfalls nicht bewusst. Der Bahnhof ist ja auch dort. Dazu muss ich sagen, dass ich kein Fan von Einkaufszentren bin und wenn ich im 3. Bezirk bin, dann gehe ich eher auf der Landstraßer Hauptstraße einkaufen.

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Erste Konfrontation mit der Installation Shopping Spotting in WIEN MITTE – The Mall. Ganz klein sind die Schaumstoffrollen zu sehen, die beim Beobachten als Polster dienen.

Anna: Wo kaufst du sonst ein?

Julia: In Wien gehe ich am liebsten dort einkaufen, wo ich die Leute kenne und mag. Auch bin ich immer wieder in Geschäften anzutreffen, die neu eröffnet haben. Kleidung kaufe ich auch online ein. Besonders mag ich die Äußere Favoritenstraße im 10. Bezirk: weniger zum Einkaufen als zum Flanieren. Das Flair dort gefällt mir. Es ist ein wenig traurig, dass das Modehaus Tlapa dort jetzt zusperrt. Zum Glück besteht der Viktor-Adler-Markt noch weiterhin.

Anna: Wie schaut deine Vision des Einkaufszentrum der Zukunft aus?

Julia: In der Zukunft wird weniger gekauft werden, einerseits von der ökologischen, anderseits von der ökonomischen Seite her. Durch die schwindenden Ressourcen und eine schrumpfende Weltwirtschaft werden Menschen weniger kaufen können und auch wollen. Das Thema Nachhaltigkeit wird in Zukunft noch stärker behandelt werden müssen. Außerdem wird der digitale Shoppingraum immer präsenter werden. Die Frage ist, wie eine analoge Mall mit dieser virtuellen Konkurrenz umgehen wird. Die Überlegung geht dahin, dass analoge Malls immer mehr zusätzliches Programm anbieten. Etwas, das man im Internet nicht erleben kann, aber vor allem auch einen sozialen Mehrwert bietet. Denn neben der Aufenthaltsqualität ist die Begegnung mit realen Menschen ein wichtiger Aspekt im analogen Raum. Wie früher in Boutiquen wird die soziale Interaktion wieder wichtiger. Auch in Bezug auf die angebotene Menge können analoge Geschäfte mit dem Internetangebot nicht mithalten. Deshalb entwickeln sich die Brick-and-Mortar-Geschäfte mittlerweile immer mehr zu Showrooms bzw. Concept Stores, wo nur mehr Best-ofs gezeigt werden.

Anna: Was können die BesucherInnen erwarten, wenn sie momentan Wien Mitte – The Mall besuchen?

Julia: Sie werden beobachtet bzw. können sie selbst beobachten. Meine Installation funktioniert in der Hinsicht auf zwei Ebenen und dabei kann man immer wieder die Perspektive wechseln. Grundsätzlich ist die Idee, dass die Mall in der Zukunft mehr konsumfreie Zonen zur Verfügung stellt. Wenn ich durch das Fernglas schaue, dann konsumiere ich normalerweise nicht.

Anna: Deine Installation hat also auch etwas Voyeuristisches.

Julia: Ja. Man darf nicht vergessen, dass in der Mall überall versteckte Kameras sind. Sprich unsichtbare Überwachung findet dort ständig statt. Die Möglichkeit zur Überwachung, die durch die Installation gegeben ist, ist zumindest sichtbar. Dieser Aspekt wird jedoch nur am Rande behandelt. Interessanterweise schauen mehr Männer als Frauen, aber das kann auch deshalb sein, da neben der Installation gleich der Media Markt ist.

Anna: Du hast mit deinem Team die Mall-BesucherInnen in verschiedene Typen kategorisiert. Wie seid ihr auf diese Typen gekommen?

Julia: Durchs Beobachten. Ich und Pia waren ca. 10 Tage für 2-4 Stunden vor Ort. Dabei haben wir auch bemerkt, dass gewisse Leute jeden Tag in die Mall kommen und ihre fixen Plätze haben, ohne zu konsumieren. Das wurde uns von den MitarbeiterInnen der Mall auch bestätigt.

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Auf der Suche nach den Mall-Typen (cc) dieKulturvermittlung

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Insgesamt haben sich Julia und ihr Team 18 verschiedene Mall-Typen ausgedacht. (c) jeplus

Anna: Was ist der Mehrwert von Shopping Spotting?

Julia: Ich möchte Denkanstöße geben und nicht die Menschen zwingen, sich zu ändern. Mit Shopping Spotting und auch mit anderen Projekten möchte ich zeigen, dass man gewisse Sachen auch anders machen könnte. Bei Shopping Spotting geht es darum, sich Zeit zu nehmen, genau hinzuschauen und zu reflektieren, anstatt zu konsumieren. Es soll angeregt werden, sich über das eigene momentane Verhalten und das der anderen im System Einkaufszentrum Gedanken zu machen. Wenn man darüber nachdenkt, hat so ein geschlossener Raum, wo sich alles nur Konsum dreht, eigentlich etwas leicht Perverses an sich. Ursprünglich waren Einkaufszentren nicht nur als Orte des Konsums gedacht. Der österreichische Architekt Victor Gruen, der an der Planung der ersten modernen Einkaufszentren in den U.S.A. wesentlich beteiligt war, wollte eigentlich das Einkaufszentrum als modernes Dorf bzw. „Stadtzentrum“ etablieren. Davon haben sich die Malls mit ihrem Fokus auf Power-Konsum dann wieder wegentwickelt. Jetzt hat es den Anschein, als könnte die ursprüngliche Funktion wieder mehr in der Vordergrund rücken.

Anna: Wie war die Zusammenarbeit mit EKAZENT?

Julia: EKAZENT war unheimlich kooperativ. Sie waren von der Grundidee begeistert und haben sich selbst vor allem in der Rolle des „Facilitators“ gesehen. Hausintern haben sie uns alles ermöglicht und uns die Arbeit wesentlich erleichtert. Die größten Herausforderung gab es in punkto Sicherheit. In Bezug auf Brandschutz und Versicherung gab es enorme Auflagen.

Anna: Was kann ich von deinem Projekt lernen?

Julia: Du kannst von Shopping Spotting lernen, dass man gewisse Themen mit einer Leichtigkeit transportieren kann und die Leute dort abholen soll, wo sie sind. Meines Erachtens muss man Sachen so gestalten, dass sie von der Zielgruppe verstanden werden. Ich verstehe Design – im übertragenen Sinn – als Bring- und nicht als Holschuld.

Anna: Was hast du von deinem Projekt gelernt?

Julia: Ich habe gelernt, dass die Mall nicht so „böse“ ist wie man glaubt. Ihr Kerngeschäft ist klarerweise der Konsum, aber ihre Betreiber machen sich ebenfalls viele Gedanken über die Zukunft. Auch sie wissen, dass es so nicht 1:1 weitergehen wird und versuchen, in Alternativen zu denken. Praktisches habe ich auch gelernt., z.B. dass Schaumstoff kein billiges Material ist, vor allem, wenn er brandschutzsicher sein muss. Man braucht hohe finanzielle und humane Ressourcen, um eine Installation im (halb)öffentlichen Raum zu machen, die drei Monate halten soll. Die Installation wird jetzt intensiv benutzt und löst sich trotz Wartung über die Monate langsam auf.

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Was hier wohl gerade beobachtet wird? (cc) die Kulturvermittlung

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Gespotted: Aufpasser, Wartende, Reisende, Eilige und ein Zeitungs-Leser (cc) dieKulturvermittlung

Anna: Zu guter Letzt, liegt dir noch irgendetwas auf dem Herzen?

Julia: Etwas, das ich selten sage: Ich bin mit dem Projekt zufrieden! ((Anna, dieKulturvermittlung, 03.09.2015)

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Julia Landsiedl ist Juristin und Designerin mit dem Schwerpunkt Szenografie & Storytelling. Nach ihrem Jusstudium hat sie Industriedesign an der Universität für angewandte Kunst Wien und Produkt- und Prozessgestaltung an der UdK Berlin studiert. Bevor sie ihr Designbüro jeplus 2008 in Wien eröffnete, arbeitete sie in der Designberatungsfirma IDEO in Silicon Valley. Sie hat Lehraufträge an der TU Wien und an der NDU Sankt Pölten.

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Die Ausstellung 2051: Smart Life in the City findet im Rahmen der Vienna Biennale des MAK statt und wurde vom MAK und der Wirtschaftsagentur Wien, Kreativzentrum departure organisiert. Sie läuft noch bis zum 4. Oktober 2015.

2051: Smart Life in the City

Neben dem Einkaufszentrum sind folgende visionäre Projekte in Wien zu finden:

die Schule,

die Bank,

die Fabrik,

das Krankenhaus,

das Stadion,

das Hotel,

die Straße,

die Wohnung,

und der Freiraum.

Kuratoren der Ausstellung 2051: Smart Life in the City:

  • Harald Gründl (Co-Partner, EOOS; Institutsvorstand, IDRV – Institute of Design Research Vienna)
  • Thomas Geisler (Kustode MAK – Sammlung Design)

KuratorInnen der Vienna Biennale:

  • Pedro Gadanho (Kurator für zeitgenössische Architektur am Museum of Modern Art, New York)
  • Harald Gründl (Co-Partner, EOOS; Institutsvorstand, IDRV – Institute of Design Research Vienna)
  • Maria Lind (Direktorin, Tensta Konsthall, Stockholm)
  • Peter Weibel (Vorstand, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe; Ordentlicher Professor, Universität für angewandte Kunst Wien)

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Anna und Adrien von dieKulturvermittlung machen beim #openschoool-Experiment mit. Deshalb wird dieser Artikel auf dieKulturvermittlung und im Blog der #openschoool veröffentlicht.



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