Beer matters
Die kalte Jahreszeit steht vor der Tür und wie jedes Jahr bereitet sich Wien vor, seine BewohnerInnen und Gäste mit einer Vielzahl an Events und Festivals aufzuwärmen. An was denkst du dabei? Vielleicht… Glühwein!? Klar, aber dieses Jahr – und zum ersten Mal – findet ein neues Festival statt, das die großen Traditionen und handwerklichen Innovationen feiert.
Die Vienna Beer Week wird vom 16. bis zum 22. November in den gediegensten Pubs und Brauereien vonstatten gehen. Wir werden dir die Highlights dieses Festivals, bei dem du Menschen treffen kannst, die über Bier sprechen, wie du vielleicht über Wein redest, verraten. Um es dir aber so richtig schmecken lassen zu können, hilft es, ein besseres Verständnis über die österreichische Bierkultur zu bekommen. Wir nutzten die Gelegenheit!
Ein zufälliges Treffen auf der Straße – wir waren mit unseren Lebensmitteleinkäufen auf dem Heimweg, er war unterwegs, um in einem naheliegenden Pub seinen Job zu machen. Anna ging auf den Bierpapst Conrad Seidl zu und erhielt seine Kontaktdaten. Ein paar Wochen später trafen wir uns im Hawidere für ein Interview. Wir hatten die Möglichkeit, ihm all die Fragen zu stellen, die uns schon seit geraumer Zeit durch den Kopf gingen. Ebenfalls erhielten wir für die #openschoool eine Originalaufnahme, die sich Speakout nennt. Und zwar eine 5-minütige Rede, bei der der Bierpapst erklärt, why beer matters. Schließlich kam seine Frau Viktoria zu uns hinzu, um mit uns ein paar Bier zu genießen.
Adrien: Warum hast du das Domrep Pils bestellt? [Anm.: Das ist das Hausbier im Hawidere und ein Erzeugnis der Collabs Brewery. Collabs Brewery ist eine Marke, die einen kollektiven Brauprozess zwischen Hawidere und einer oder mehreren Brauereien kennzeichnet. Sie steht für authentisches und innovatives Bier, das handwerklich gebraut wurde.]
Conrad: Die Geschichte hinter dem Bier ist, dass Dominique [Anm.: Die Chefin des Hawidere] an diesem speziellen Ort ihr eigenes Bier haben wollte. Sie hat sich dazu entschlossen, das Bier in Partnerschaft mit einer kleinen Brauerei in Tirol namens Bierol zu brauen. Indem sie unübliche Arten von Hopfen, die man normalerweise nicht in einem Pilsner findet, verwendete, wollte sie ein einzigartiges Bier erzeugen. Daher steigt dir dieses fruchtige und vielleicht rosinenartige Aroma in die Nase. Von der Farbe her ist es ein goldenes Bier und hat eine hübsche weiße Krone und ein sauberes Glas. Die Sauberkeit erkennt man, wenn der Schaum am Glas kleben bleibt und du beim Betrachten des Glases erkennst, wo der letzte Schluck gemacht worden ist – das ist typisch für ein Pilsner. Dieses Bier hier ist also eine sehr fruchtige Interpretation der Pilsnersorte, sehr trocken im Nachgeschmack. Es hat einen kleinen Malzkörper und schafft so einen Ausgleich zur Bitterkeit. Es ist wirklich ein hopfiges Bier und wenn es hopfig ohne Körper ist, dann ist es wahrlich nicht einfach zu trinken. Das ist wirklich etwas für ExpertInnen. Aber dieses ist ziemlich ausgewogen. In Österreich und von der Dame, die uns das Bier serviert hat, gebraut. Deswegen mag ich es.
Adrien: Wie viele Wörter existieren in der englischen oder deutschen Sprache um Bier zu beschreiben?
Wenn dieses Bier ein Mensch wäre, wie wäre diese Person?
Conrad: Die Anzahl der Wörter hängt stark vom Bier selbst und von der Fantasie, die es erweckt, ab. Wenn du ein sehr inspirierendes Bier trinkst, kannst du an eine Person denken. Du schmeckst das Bier und es hat so viel Persönlichkeit… Wenn dieses Bier ein Mensch wäre, wie wäre diese Person? Es gibt eine endlose Menge an Wörtern, weil wir eine endlose Menge an Wörtern verwenden können, um Personen zu beschreiben. Obwohl ich weiß, dass viele Menschen ein Set von 1000-1200 Wörtern täglich verwenden, tendiere ich als Journalist mehr zu benützen. Es gibt so viel, an das du denken kannst, wie alle Früchte die du in manchen Bieren findest, obwohl es sich tatsächlich um keine Frucht handelt. Es ist nur die Einbildung einer Frucht, es ist das Aroma der Frucht. Vielleicht gibt es etwas im Nachgeschmack und du fragst dich selbst: Ist das Passionsfrucht? Ist das Mango? Ananas? Oder nur Banane? Pfirsich? Marille? Du kannst an alle Früchte in manchen Bieren denken, aber nicht alle Biere sind fruchtig und ich bin glücklich, dass manche Biere keine und manche eine große Fruchtigkeit aufweisen. Manche sind süß, manche sehr markant, andere sind einfach nur trocken und einige angenehm zu trinken.
Adrien: Existiert diese Vielfalt, diese Diversität die du hier beschreibst auch bei österreichischen Bieren?
Gewissermaßen habe ich Menschen dazu bestärkt, interessante Biere zu brauen und ich versprach ihnen, alles wegzutrinken, falls sie das Bier nicht verkaufen können.
Conrad: Die Diversität ist bei Biersorten in den letzten Jahren explodiert. Vor 40 Jahren haben wir das weltweit noch nicht gesehen. Damals war Biertrinken noch nicht sehr interessant. Es gab ein paar kleine Nischen, vielleicht bei deutschen, belgischen und britischen Bieren. In der Tschechischen Republik gab es kaum ein interessantes Bier, außer der bekannten Pilssorte. Jetzt haben sie etwa 50 Brauereien, die amerikanische Ales brauen. In den letzten 8-10 Jahren sehen wir diese amerikanische Bierrevolution nach Europa kommen, nach Österreich kommt sie definitiv schon seit 15 Jahren. Und ich spiele darin eine kleine Rolle, weil ich gewissermaßen Menschen dazu bestärkt habe, interessante Biere zu brauen und ich versprach ihnen, alles wegzutrinken, falls sie das Bier nicht verkaufen können. Aber die können viel von dem Zeug verkaufen.
Adrien: Wenn ich ein Land wählen müsste, das ich als Spitzenreiter in Bezug auf Bier bezeichnen würde, dann wäre das Belgien, vielleicht würden andere England, USA, Deutschland sagen… Aber in Österreich scheint es, dass Bierkultur mehr mit Quantität als mit Qualität in Verbindung gebracht wird. Möchtest du mit deiner Arbeit auch zeigen, dass es beides ist?
Conrad: Natürlich. Ein Teil meiner Arbeit ist es, gute und interessante Biere – woher auch immer sie herkommen – vorzustellen. Mögen sie aus Tirol, von kleinen Brauereien in Belgien oder von woanders kommen. Es ist ziemlich schwierig, eine neue Bierkultur – und radikal andersartige Biere – in einem Land zu etablieren, das bereits eine hat. Und in Österreich haben wir eine etablierte Bierkultur. Wenn du vor 5 Jahren hier ein Bier getrunken hättest, hatten sie vielleicht vier Biersorten als Schankbier und die Leute wussten, eine gute Qualität bei diesen vier Bieren zu erhalten. Aber das war es. Dann veränderten sie radikal das ganze Konzept und setzten eine lange Liste an handwerklich gebrauten Bieren auf ihre Getränkekarte. Das geschah nicht nur hier, sondern in hunderten Pubs. Auf der anderen Seite ist das in einem Land schwierig, in dem 29% der österreichischen BiertrinkerInnen nie im Leben ein Bier als ihre gewohnte Biermarke trinken würde. Das sind die loyalen KonsumentInnen einer Marke. Sie sind glücklich mit dem, was sie haben. Das ist nichts Schlechtes, sie haben einfach ihr Bier gefunden. Man könnte es mit der Heirat vergleichen, manche sind mit ihren Marken verheiratet. Sie würden nie andere Biersorten als die gewohnten Biere konsumieren, so wie sie nie Kleidung einer spezifischen Marke kaufen würden, da sie seit Jahrzehnten eine andere Marke kaufen… Markenmanager wollen diese Markenloyalität sehen. Ich möchte Diversität sehen. Ich möchte unterschiedliche Dinge sehen. Viele Leute mögen diese traditionelle Bierkultur gar nicht, für sie ist das einfach ein Angebot. Sie möchten nichts anderes probieren. Aber andere möchten Neues ausprobieren und tun es.
Adrien: Stimmt es, dass Österreich das Land mit den meisten Brauereien pro EinwohnerIn ist?
Conrad: Im Moment ist das glaube ich die Schweiz. Dort leben um die 8 Millionen Menschen und es gibt dort ca. 500 Brauereien heute. Aber das alles passierte erst in den letzten 2 oder 3 Jahren. Österreich hat etwa 8 Millionen EinwohnerInnen und ca. 200 Brauereien. Was wir haben, ist der zweithöchste Bierkonsum pro Kopf nach der Tschechischen Republik. Ich glaube, dass es 106 Liter pro Kopf sind und das ist ein guter Konsum.
Adrien: Das erste Mal sah ich dein Foto – und so habe ich über dich erfahren – in einer Bar bei diesen Auszeichnungen, die du verleihst. Machst du das jedes Jahr?
Conrad: Ja, wir machen jedes Jahr einen Bier Guide. Wir versuchen diese Bars zu finden, die ich gerne weiterempfehle. Wir verleihen zwischen 1 und 5 Gläser. 1 für einen netten Ort, um was Trinken zu gehen. 2 wenn es sich wirklich lohnt, dorthin einen Abstecher zu machen. 3 wenn es mehr oder weniger heißt, dass du nicht in der Stadt warst, wenn du nicht an diesem Ort warst, wie etwa das Hofbräuhaus in München. Du warst noch nicht in München, wenn du nicht zumindest einmal das Hofbräuhaus besucht hast. 4 bedeutet, dass du nicht in dem Land warst, wenn du nicht dort warst. Die mit 4 Gläsern solltest du wirklich aufsuchen. Von diesen gibt es in Österreich von insgesamt 1200 etwa 50 oder 60. Die höchste Kategorie ist 5, die sind Weltklasse. Das muss keine schicke oder adrette Bar sein. Wenn du an das Tornado in San Francisco denkst… das erste Mal wagte ich es nicht, in diese Bar zu gehen, da vorm Eingang so viele Harley Davidson Motorräder parkten. Ich dachte mir „Gut, das ist eine Bar für Rocker, geh dort nicht rein“, weil ich keine Schwierigkeiten machen möchte. Dann habe ich mich dazu entschlossen, doch hineinzugehen und dort lauter freundliche Leute vorgefunden, die es lieben, eine solche Bierauswahl zu haben. Es ist eine wundervolle Bar. Ich glaube nicht, dass du diese Bar in einem Reiseführer über San Francisco – oder vielleicht im Lonley Planet – findest. Aber allgemein gesprochen sind das die interessanten Bars, die man kennen sollte. Denn sie sind die treibenden Kräfte für das, was wir als neue Bierkultur verstehen.
Adrien: Es handelt sich also nicht um einen Wettbewerb, sondern ist ein alljährlicher Prozess?
Ich muss zugeben, dass ich ein angemessenes Ausmaß an Bieren trinke.
Conrad: Ich versuche so viele Bars wie möglich zu besuchen, aber ich kann im Jahr keine 1200 besuchen. Es handelt sich um eine angemessene Anzahl, die ich besuche und ich muss zugeben, dass ich ein angemessenes Ausmaß an Bieren trinke.
Anna: Was ist deiner Meinung nach die beste Bar in Wien?
Conrad: Es gibt einige, die 5 Gläser haben, aber es hängt davon ab, was du willst. Ich finde, dass das Känguruh eines der weltweit besten belgischen Biersortimente hat. Es gibt nicht viele Orte, die so viele verschiedene belgische Biere haben. Auf der anderen Seite braut die 1516 Brewing Company eine Vielzahl an Bieren und wenn sie von einer neuen Sorte hören oder neue Ideen bekommen, versuchen sie die zu brauen und die meiste Zeit wird es ein einzigartiges und sehr gutes Bier werden. Ich mag das Hawidere sehr gerne, da sie sich so verändert haben. Ich kannte es bereits, als es nur eine Nachbarschaftsbar war und jetzt ist es eines der Hotspots der Wiener Bierszene.
Anna: Du würdest also diese drei Bars BierliebhaberInnen empfehlen, die nur einen Tag in Wien verbringen und die besten aufsuchen möchten?
Conrad: Falls du nur einen Tag hier bist, beginne in der 1516 Brewing Company wenn sie um 11 Uhr aufmacht. Trink dort ein paar Bier und iss zu Mittag. Dann spaziere vielleicht über den Naschmarkt und geh ins Hawidere für einige Getränke am frühen Abend und vielleicht, um einige Snacks zu essen. Dort gibt es viele Burger und Empfehlungen, welcher Burger zu welchem Bier passt. Zum Abschluss würde ich für einige belgische Biere ins Känguruh gehen.
Adrien: Bist du neben dem Bier Guide und Beer Weekly auch in anderen Bierprojekten involviert?
Conrad: Ich mache meine Beer Weekly Videos, I mache meinen Bier Guide, Ich schreibe für mehrere andere Publikationen wie Der Getränkefachgroßhandel oder Craft Magazine in Deutschland. Von Zeit zu Zeit schreibe ich auch für ein US-Amerikanisches Biermagazin. Es gibt viele Publikationen und wenn sie etwas Spezielles wollen, haben sie meine E-Mail.
Anna: Du schreibst auf Deutsch und Englisch. Warum ist dein Englischniveau so gut?
Conrad: Als ich jung war, habe ich für die United Nations gearbeit, genauer gesagt für die AIEA. Ich war ein ITler als ich jung war… ich war cool! Damals existierte das Internet noch nicht, es war auf Lochkarten. Und natürlich habe ich viel Zeit in den USA verbracht, um Bier zu verkosten und zu bewerten. Gerade heute erschien online ein neues Video, das den World Beer Cup 2016 bewirbt und ich bin dabei!
Adrien: Für die Vienna Beer Week organisierst du in Zusammenarbeit mit dem Hawidere eine Tour in einer Oldtimer-Straßenbahn…
Conrad: Ich habe mich nur dazu bereit erklärt, der Special Guest zu sein, aber ich organisiere sie nicht. Ich bin froh, Reden zu halten und Seminare zu geben. Wir haben keine Zeit für die organisatorische Arbeit.
Adrien: Und du wirst dort zwei Biere präsentieren. Ist das Bier, das wir gerade trinken auch Teil der zwei oder wird es sich um etwas komplett Neues handeln?
Conrad: Ich glaube, dass es sich um eine neue Zusammenarbeit einer englischen und einer kärnterischen Brauerei handeln wird.
Adrien: Hast du schon einmal dein eigenes Bier gebraut?
Ich bin ein Bierkritiker und ich singe auch keine Opern, ich trinke einfach mein Bier.
Conrad: Nein, Ich finde, dass es ein Schlüsselfaktor ist, dass ein Journalist niemals das produzieren sollte, über das er schreibt. Ich habe schon viele politische Autoren gesehen, die vom Journalismus in die Politik gegangen sind und versagt haben… Es gibt einen Unterschied, wenn man über etwas schreibt oder wenn man etwas tut. Und du verlierst deine Objektivität. Man tendiert sein eigenes Kind mehr als die anderen zu lieben. Ich vergleiche es mit OpernkritikerInnen. Ein Opernkritiker ignoriert nicht, dass er eine klare Stimme hat und seine Arien auf höchstem Niveau singen kann, aber er sollte sich nie selbst auf die Bühne stellen und zum singen anfangen. Ich mache das nicht. Ich bin ein Bierkritiker und ich singe auch keine Opern, ich trinke einfach mein Bier.
Adrien: Du betrittst eine Bar und findest heraus, dass das Bier aus ist… was machst du? Nimmst du stattdessen Wein? Whiskey? Gehst du wieder hinaus?
Conrad: Wenn sie kein Bier haben, hoffe ich, dass es ums Eck eine andere gibt. Wenn ich wirklich durstig bin, würde ich möglicherweise ein Glas Wasser bestellen, aber ich würde wegen keinem anderen Getränk dort bleiben.
Alle drei: Danke und Prost! (Adrien and Anna, dieKulturvermittlung, übers. von Anna 11.11.2015)
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Speakout vom Bierpapst Conrad Seidl: „Why beer matters“
Englische Rede über Biergeschichte und Bierrevolution.
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Conrad Seidl ist ein Österreichischer Autor und Journalist, der sich auf Bier und Politik spezialisiert hat. Er ist vor allem als Bierpapst und für seine Artikel im Standard bekannt.
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Highlights der Vienna Beer Week:
• Eröffnungsveranstaltung mit großem Bierquiz und der Auszeichnung der besten gewerblichen Brauereien der Austria Beer Challenge in Brandauers Schlossbräu (16.11.2015, ab 19.00 Uhr)
• Erstmalige Verkostung des Wiener Lager der Schwechater Brauerei im Brauhaus mit Lesung über die Wiener Brauherren (19.11.2015, um 19.00 Uhr)
• Exklusive Kellerführung unter der Ottakringer Brauerei mit Blindverkostungen
• Bier & Wurst – Pilsner Urquell Wurstworkshops (17.–19.11.2015)
• Innovation in Kulinarik – Foodpairing mit drei Brauereien und deren Braumeistern im Lichtenthaler Bräu (18.11.2015, um 18.00 Uhr)
• Launch Party Xaver Altbier im Chelsea (18.11.2015, um 19.00 Uhr)
• Ringstraßen Bier Release – Präsentation eines neuen Collaboration Brews in einer Oldtimer-Tramway mit Bierpapst Conrad Seidl und Livemusik sowie Afterparty im Hawidere (19.11.2015, ab 18.00 Uhr)
• Craft Bier Fest Wien mit Kleinbrauerausstellung in der ehemaligen Expedithalle der Ankerbrotfabrik (20.–21.11.2015, 15.00–23.00 Uhr)
• Brautag in der Wiener Bier Brauerei von Erwin Gegenbauer als BIORAMA Lesersafari (22.11.2015, 11.00–16.00 Uhr)
wanna taste!